E wie
Erziehungsratgeber
Der durchschnittliche
Erziehungsratgeber ist ein Arschloch.
Weil er in den meisten
Fällen derart EINFACHE Tips auf Lager hat, dass dich im günstigsten
Fall das Gefühl beschleicht, eine völlig unfähige Mutter/Vater zu
sein, denn wenn es so einfach ist, wieso bin ausgerechnet ICH dann zu
blöd dazu? (Im Normalfall kommt, bevor man sich in diesem miesen
Gefühl komplett verliert, die beste Freundin/Mutter/Kusine/die
Mädels vom Babytreff/werauchimmer zum Kaffee, die haben/hatten die
gleichen Probleme mit ihrer Brut und nach ein bißchen gemeinsamen
Jammern, Gegacker und zur allergrößten Not einem Gläschen Prosecco
ist die Welt wieder in Ordnung.)
Im ungünstigsten Fall
führt die fortwährende Konfrontation mit den zwischen zwei
Buchdeckeln lauernden TOTAL einfachen Tricks und vollkommen
problemlos anzuwendenden Programmen (gerne zu den Themen:
durchschlafen nach drei Wochen, der kleine Gourmet, der Weg zum
klugen Kind, *waaahhh*), während die eigene Brut sich mit dem
pädagogisch wertvollen Holzspielzeug brüllend die Köppe
einschlägt, standhaft nur Schupfnudeln essen will oder nachts
grundsätzlich nur einschläft, wenn Mama stundenlang vor dem
Bettchen kauernd „Der Mond ist aufgegangen“ singt, während ihre
Haare um den Kinderfinger gewickelt sind und gleichzeitig Papa
Männchen vor dem Bett macht, dazu, dass man sich müde, hohläugig
und zutiefst deprimiert am nächsten Laternenpfahl aufknüpfen will.
Und die Brut gleich dazu.
Wer dann kein soziales
Netzwerk aka Familie oder Freunde um sich rum hat, die zum
Kaffeetrinken vorbeikommen und bei Bedarf die pädagogische
Anspruchshaltung auch mal korrigieren helfen (Hast du sie eigentlich
noch alle?) oder einfach mal babysitten, Kuchen mitbringen oder die
Kotztüte halten, der hat, mit Verlaub: ins Klo gegriffen und tut
was? Richtig: Kauft noch einen vollkommen unnützen
Erziehungsratgeber.
Ich hab sie natürlich
nicht alle selbst gelesen, ich bin ja nicht völlig plemplem (da wäre
ich wahrscheinlich auch schon am Laternenmast gelandet, bei dem, was
ich schon alles falsch gemacht habe). Aber natürlich habe ich mir
auch einen gekauft (nee, eigentlich zwei), den Rest bekam ich
geschenkt und nachdem die geschenkten Wälzer ein paar gelangweilte
Höflichkeitsjahre in meinem Bücherregal verbrachten, habe ich sie
in die Tonne gekickt. Ich habe keinen Platz für so einen Mist.
Was ich also in
jahrelangen Studien herausgefunden habe, ist folgendes:
Der richtige
Erziehungsratgeber muß in allererster Linie eines sein: Dein Freund.
Er
soll dir Mut machen, freundlich zu dir sein, dich wertschätzen und
dir nicht eine Lebensweise oder Struktur aufdrücken, die nicht die
deine ist. (Es ist völlig wurscht, ob du den Gemüsebrei mittags
oder abends gibst- du mußt deinem Kind Essen geben in passender
Qualität, zeitlichem Abstand und genügender Menge. Thats it. Die
Feinheiten ergeben sich dann schon mit größter Sicherheit aus
deinen eigenen Erfahrungswerten. Du bist schliesslich nicht in der
blauen
Lagune
groß geworden.)
Er
soll deinen Fokus lenken auf die Dinge, die wunderbar und gut sind am
Familienleben und nicht ständig mit dem Finger in die Dinge pieken,
die dich sowieso fertig machen. Er zeigt dir die wunderbare
Bandbreite der lustigen, unglaublichen, seltsamen, sensationellen und
einzigartigen Verhaltensweisen in der Entwicklung deines
Babys/Kleinkindes/Kindes auf und gibt dir genügend Sicherheit, damit
du dich an der Entwicklung deines Kindes freuen kannst und nicht
hinter jeder Macke gleich einen Logo/Ergo/Psychotherapiefall
befürchtest. (Oh mein Gott. Madita-Sophie will nicht mit
Fingerfarben malen. ALLE Kinder wollen mit Fingerfarben malen. Herr
Doktor, können sie mir eine gute Körpertherapeutin empfehlen?)
Ein
guter Erziehungsratgeber spricht DEINE Sprache,- so dass du nicht
jedes dritte Wort
nachschlagen musst und das
Gefühl bekommst, ein verdammter Dummkopf zu sein. Er soll dir
Zusammenhänge verständlich erklären, ohne zu theoretisch
daherzukommen und vor allem ohne herablassend und oberlehrerhaft zu
wirken und dich dadurch klein zu machen.
Für
mich persönlich ist dabei ganz
wichtig: In einem guten Erziehungsratgeber findest du niemals
gephotoshopte Bilder von gecasteten, strahlendweißzähnigen
Modelfamilien mit perfekt gekleideten Traumkindern
in durchgestylten Mottowohnungen.
Hallo?
Ich *wiege zu viel, habe Pickel und in Jogginghosen sehe ich
scheiße* aus. Mein *Baby schreit sich völlig unerklärlich die Lunge
aus dem Leib, ich bin völlig am Ende und will es manchmal nur noch
an die Wand klatschen* (zwischen die Sternchen bitte jeweils den Text
deiner Wahl einsetzen) und da soll ich mir ein Buch angucken, in dem
strahlend schöne Menschen mir versichern, dass doch alles ganz
pipieinfach ist und nach ein, zwei Versuchen sollte das mit dem
Schlafen aber doch wirklich zu wuppen sein. Tadaaa! Wenn nicht,
dann,... nja. Komisch. Bei allen anderen funktionierts.
Dafuq?
Scheiße ist das, ehrlich.
Wenn
der Ratgeber dich nicht auf Anhieb anspricht, du die Sprache nicht
verstehst oder die Bilder eine künstlich perfekte Welt suggerieren
(in der du nicht zufällig auch grad lebst) , dann ist er
nicht dein Freund, sondern immer
nur das buchgewordene schlechte Gewissen. Die materialisierte
Erinnerung an alles, was du vermeintlich NICHT hingekriegt hast auf
dem Weg zur goldenen Mama/Papamedaille. Auf dem Nachttisch liegend
erinnert er dich immer schön an dein vermeintliches Versagen.
(Häähää, du bist schon wieder nicht souverän geblieben, als der
Kleine das Nachbarskind zerkratzt hat. Trallalaa, komisch, dass deine
Kinder immer so auffallen müssen, woran das wohl liegen mag, häähää.
Und wieso malt der Große eigentlich nie so schön bunt, wieso hat
die Kleine immer Flecken auf dem Pulli, wieso ißt er kein Obst,
wieso haut sie im Kindergarten die anderen Kinder, wieso dies, wieso
jenes??? Und immer krank, deine Kinder, immer ist irgendwas anderes,
nie geht mal irgendwas gut, immer ist alles so anstrengend, nie...,
immer, ….)
Phew!
Wer soll denn bei solchen Einflüsterungen gut schlafen können? Weg
mit dem Haufen Altpapier!
Die
beiden Ratgeber, die ich mir damals gekauft habe, habe ich immer
noch.
Remo
Largo
ist immer noch mein Freund. Seinem "Babyjahre" habe ich es
zu verdanken, dass ich nach ichweißnichtwievielen Monaten endlich
aufgehört habe mit dem Stress von wegen, das Kind muss in seinem
eigenen Bett schlafen. Pff. Bullshit.
Er
legt die verschiedenen Entwicklungsstufen sehr gut dar und hebt dabei
die Individualität des einzelnen Kindes hervor. Er erklärt sehr
gut, wie sich die einzelnen Entwicklungsstufen aufeinander aufbauen
und macht dabei einigen Mythen den Garaus, vor allem dem äußerst
beliebten „Mein Kind war schon mit 14 Monaten trocken (nach dem
Motto: kaum gekrabbelt- schon aufs Klo. Aus dem Leben eines
Superbabes)“ und meinem zweitliebsten Wut-Thema: „Durchschlafen
nach wenigen Wochen“. (Mein liebstes Wutthema ist übrigens:
Verwöhn das Baby net, das hört schon auf zu plärren. Arrggl.)
Kann
ich uneingeschränkt empfehlen. Das Buch, mein ich.
Wolfgang
Bergmann
ist auch mein Freund. Er hat mehrere Bücher geschrieben, aber die
"Gute Autorität" ist das Beste, trotz der manchmal
etwas, naja, pädagogischen Vortragsweise. Warum ist Autorität so
wichtig und wie funktioniert sie ohne Druck und Einschüchterung? Das
erklärt er sehr verständlich und mit Hilfe von schönen Szenen, bei
denen man einerseits gehässig kichern möchte, einem aber
andererseits genau das im Hals steckenbleibt, denn: verdammich, woher
kennt der mich???
Auch dieser kriegt von
mir ein „uneingeschränkt empfehlenswert“
(Es gibt übrigens nur
diese eine Note. Für mich. Das oder Tonne. Für dich mögen andere
Grundsätze gelten, nimm sie ernst.)
Aber, siehe oben:
Der gute
Erziehungsratgeber ist DEIN Freund.
Also guck vorher rein,
lies ein paar Seiten und entscheide erst dann, ob du dafür Geld
ausgibst.
(Nein, ich bin nicht zu blöd fürs ABC. Mir ist nur halt erstmal was zu E eingefallen. Vielleicht fällt mir noch was ein zu einem anderen Buchstaben. Oder mehreren. Oder garnichts mehr.)